Der Pfauen soll bleiben, was er immer war

Beate Eckhardt ist Vizepräsidentin der Schauspielhaus AG. Im Interview spricht sie darüber, welche Konsequenzen die Varianten für die Arbeitsbedingungen auf und hinter der Bühne haben. Aber auch, was sie für die künstlerische und wirtschaftliche Zukunft des Pfauen bedeuten.

Am Pfauen wurde und wird täglich grossartige Arbeit geleistet. Warum soll das nicht mehr funktionieren, wenn man den heutigen Saal erhalten will.

BE: Zum Glück dürfen wir am Pfauen immer noch grossartiges Theater sehen und geniessen. Die Mitarbeiter:innen leisten in der Tat Herausragendes, von der Bühnentechnik über die Schauspieler:innen bis hin zu den Regisseur:innen. Der Preis dafür ist aber hoch. Die Bedingungen sind bekanntermassen seit langem schlecht. Es fehlen Bühnennebenflächen und Lagermöglichkeiten, wie sie heute jedes moderne Theater hat. Für die Arbeiter:innen heisst das eine tägliche riesige Schlepperei und problematische Anlieferungen mit den schweren Lastwagen. Die Probezeiten sind auf zwei bis drei Stunden limitiert, weil der Auf- und Abbau eines Bühnenbilds sage und schreibe bis zu sechs Stunden dauern kann. Dies führt immer wieder zu Spannungen zwischen der Kunst und der Technik.

 Aber auch unser Publikum nimmt teilweise grosse visuelle und akustische Einschränkungen in Kauf. Das schmerzt mich mindestens ebenso. Es ist unangenehm, bei den Karten eine schon fast als «Zweiklassenschnitt» zu bezeichnende Situation zu tolerieren. Das ist wie im Supermarkt, wo ich mehr zahlen muss, damit eine Tomate auch wirklich nach Tomate schmeckt. Ein Theaterstück richtig zu sehen, zu hören und zu fühlen, gehört meiner Meinung nach zum Grundanspruch.

 

Aber das lässt sich doch auch bei den Sanierungsvarianten mit einem Erhalt des heutigen Saales verbessern.

BE: Leider nein. Der Stadtrat hat dem Gemeinderat vier Varianten vorgeschlagen. Nur bei der vierten, die einen Neubau des Saals vorsieht, erreichen wir wirkliche Verbesserungen – fürs Publikum und den Betrieb. Bei allen anderen Varianten entstehen Verschlimmbesserungen. Es fallen sogar Flächen weg, weil bei einer Renovation strengere Vorschriften eingehalten werden müssen. Zum Beispiel für den Brandschutz. Zudem gehen die Sanierungsvarianten von einem Zukauf von Liegenschaften im Blockrand aus, die sich in privatem Besitz befinden. Ob die Eigentümerschaften bereit sind, diese zu verkaufen oder abzutauschen, steht in den Sternen. Entscheidet sich der Gemeinderat für die vierte Variante, die umfassende Erneuerung, sind diese Flächen gar nicht notwendig.

In Kürze: Bei den drei Sanierungsvarianten investiert die Stadt viel Geld für schlechtere Arbeitsbedingungen und eine nur marginale Verbesserung des Zuschauerraums. Als Steuerzahlerin und Stimmbürgerin ist das für mich keine annehmbare Lösung.

Und mit der vom Schauspielhaus und vom Stadtrat vorgeschlagenen Lösung wäre alles gut?

BE: Es wäre um Theaterwelten besser, kein Vergleich. Der neue Saal würde höher gelegt mit besten Sicht- und Akustikbedingungen. Dazu bekämen wir ein tolles, grosszügiges Foyer fürs Publikum und genügend Nebenflächen für den Betrieb. Eine Hinterbühne, eine zusätzliche Seitenbühne und vernünftig Platz für die Anlieferungen. Die Kunst könnte sich viel besser entfalten. Neue Aufführungspraktiken, die bereits heute und künftig sowieso gefordert sind, wären möglich. Der Pfauen könnte bleiben, was er immer war: ein Theater, das sich den künstlerischen Herausforderungen der Gegenwart stellt. Mit einem vorbildlichen Repertoirebetrieb. Zum Saal selber: Im Architekturwettbewerb muss es klare Anforderungen geben. Sowohl was die historische Vermittlung der bedeutenden Geschichte des Pfauen angeht als auch seine Anmutung. Ein Blick zum Stadtcasino Basel, das von Herzog & de Meuron ganz wunderbar plüschig erweitert wurde, zeigt wie Kombination von Tradition und Modernität geht. Ich bin mir sicher, die Zürcherinnen und Zürcher würden Schlange stehen.

Was ist denn unter einem "vorbildlichen Repertoirebetrieb" zu verstehen?  

BE: Um in der obersten Liga der deutschsprachigen Theater mitzuspielen, müssen vier bis fünf Stücke parallel gespielt werden können. Mit entsprechendem Auf- und Abbaubedarf. Bei den Sanierungsvarianten, die den Saal erhalten, wäre zukünftig nur noch ein reduziertes Repertoire möglich, weil sich wie erwähnt die räumlichen Verhältnisse nochmals verschlechtern würden. Damit wäre ein Downgrading des Schauspielhauses, das heute zu den herausragenden deutschsprachigen Theaterhäusern gehört, sicher.

Gibt es keine Alternativen zum Repertoirebetrieb?

BE: Das Schauspielhaus könnte, wie andere Häuser auch, am Pfauen einen Semi-Ensuite-Betrieb fahren. Also über eine bestimmte Periode jeden Abend das gleiche Stück, dann ein anderes Stück, dann wieder das erste usw. Das ist kurzfristig wahrscheinlich sogar weniger aufwändig, Mittel- und langfristig aber eine Absage an die grosse Repertoire-Tradition des Pfauen. Und ökonomisch ein Risiko. Denn heute ist man bei der Programmierung flexibel. Gut nachgefragte Stücke können öfters gespielt, weniger erfolgreiche aus dem Programm genommen werden. Bei den ersten drei Sanierungsvarianten kann man zwar den heutigen Saal erhalten, nicht aber die hohe Qualität der Kunst – und letztlich wohl auch nicht das Publikum von morgen.

 

Weniger Repertoire hiesse aber auch tiefere Lohnkosten?

BE: Das ist anzunehmen. Wenn sich das Repertoire verkleinert, braucht es weniger Schauspieler:innen, Techniker:innen und Regisseur:innen. Wir zeigen dann nämlich einfach weniger Stücke. Ob das für herausragende Kunstschaffende attraktiv ist, vor allem für unsere Ensemblemitglieder, würde ich aber sehr bezweifeln. Es besteht die Gefahr, dass die gefragtesten von ihnen an andere Bühnen abwandern.

 

Aber es könnte billiger werden?

BE: Wir möchten aber eben kein billiges Theater machen. Ein kostenbewusstes Theater, ja, aber mit künstlerischen Spitzenansprüchen. Alles andere entspricht weder dem Auftrag der Kulturstadt Zürich, noch den Erwartungen unseres Publikums. Und es würde dann wohl auch heissen: Weniger Publikum, weniger Einnahmen. Damit wären dann auch die Kostenersparnisse wieder dahin. Aber genau in diese Richtung ginge die Reise, wenn man die Infrastruktur nicht auf einen Stand bringt, wie ihn die Theaterhäuser heute haben, die in der gleichen Liga spielen wie das Schauspielhaus. Und dafür muss leider – und ich sage durchaus leider – der heutige Saal einem neuen Saal weichen.

 

Sie hängen also auch am heutigen Saal?

Sicher kommt Wehmut auf. Etwas Bekanntes zu verlassen, ohne schon bildlich vor Augen zu haben, wie das Neue aussieht, braucht Mut. Ich habe aber volles Vertrauen in unsere Stadtregierung, unsere Theaterpolitik und vor allem in die hervorragenden Architekt:innen unserer Zeit. Sie werden verantwortungsbewusst, umsichtig und zukunftsweisenden mit diesem ausserordentlichen Ort umgehen. Wir werden grossartige Entwürfe und Lösungen sehen. Da bin ich mir ganz sicher. Das letzte Wort hat aber ohnehin die Zürcher Stimmbevölkerung, und das ist auch richtig so. Dann nämlich, wenn es um die Kreditabstimmung geht. Das alles sind spannende Aussichten. Ich freue mich darauf!


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Akt der Entscheidung

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Nimmt das jetzige Foyer die Architektur des künftigen Pfauens vorweg?